Zur
schönen Maienzeit
Gedanken,
Erinnerungen, Aussichten
Virtueller
Rat aus dem Internet: ich solle mich öfter in den Arm nehmen
lassen, damit ich mehr Zeit zum Schreiben habe. Hätte ich die
wirklich, oder würde ich mir nur etwas vormachen? Könnte
die virtuelle Nähe mir so viel Kraft geben, dass ich dadurch
mehr Zeit zum Schreiben und dem damit verbundenen Denken und
Formulieren, Korrigieren und Überarbeiten, bestehen Lassen oder
Verwerfen hätte. Als ob irgendeine Muse irgendwem etwas
druckfertig in die Feder diktieren würde?
Ist
mir die Nähe trotz oder wegen allen Wollens unheimlich, oder ist
mir die gewonnene Zeit unglaubwürdig, denn schließlich
will ja auch Nähe gepflegt werden und braucht Zeit, die ich mir
dann auch gerne nehmen möchte.
Nähe
zu spüren, wenn ich einen Menschen, meine Frau, eine Freundin,
eine Bekannte in den Arm nehme ist etwas Schönes; schöner
aber ist das Gefühl und die Erfahrung, von einem liebenden und
geliebten Menschen in den Arm genommen zu werden.
Doch
mir scheint, die Lösung für meine Zeitprobleme liegt in
meiner Strukturlosigkeit und Unordnung.
Ich
bin in gewisser Weise ein chaotischer Mensch, und bin sogar etwas
stolz darauf. Mehr und mehr wird mir deutlich, wie recht Milan
Machovec hatte, als er mir vor über 40 Jahren sagte, ich sei ein
Vulkan unter einem Eisberg. -Es gibt tatsächlich Vulkane in der
Antarktis, nicht nur auf Island. - Glühend, brodelnd, voller Aufruhr gebändigt,
an die Kette gelegt durch die Illusion von Stärke, die im Grunde
nichts anderes war und ist als ein Stück Wasser, das ungezähmt
und ungebändigt einfach verdampft würde.
Ist
es ein Segen, dass die chaotischen Kräfte rechtzeitig gebändigt
wurden, oder war es eher ein Fluch, dass schöpferische
Möglichkeiten vorzeitig gedeckelt wurden? Das ganze Wiederkäuen
von was wäre gewesen wenn, bringt nichts Neues an den Tag.
Ich
sitze heute, am 9. Mai 2009 im Rollstuhl und heute jetzt zu leben,
mit den mir gebliebenen Möglichkeiten. Wobei schon das geblieben
nicht ganz korrekt ist. In meinem Leben im Rollstuhl habe ich auch
Fähigkeiten erkannt, wieder entdeckt und dazu gewonnen, von
denen ich vorher kaum eine Ahnung hatte.
Ich
habe mich verändert, aber wie. Ist aus dem Löwenzahn eine
Pusteblume geworden? Ein fast lustiges Bild, wie das leuchten Gelb
über Nacht weiß wird und in alle Richtungen verweht wird.
Irgend
so ein Samen fällt dann auf fruchtbaren Boden, keimt und wächst
und bildet eine lange, verzweigte Pfahlwurzel. Warum bin ich nicht
glücklich und zufrieden. Da geht es mir doch viel besser als der
Rose von Jericho, dieser Wüstenpflanze, die nur alle paar Jahre
wurzeln bilden und sich entfalten kann
Ich
weiß nicht, was es ist, aber es fehlt mir etwas bei dem
Vergleich mit dem Löwenzahn, vielleicht auch weil er trotz aller
Schönheit.für viele ein widerliches Unkraut ist, und wer
möchte das schon gene sein? Ich kenne nur ganz wenige, die mit
einem gewissen Stolz von sich sagen: ich bin Unkraut. Ich mache
anderen das Leben schwer, und sie werden mich doch nie los.
Ich
will anderen nicht das Leben schwer machen, ich möchte nicht zur
Last fallen, nicht lästig sein.
Doch
ich möchte mich auch mitteilen; aber durch das, was ich
mitteile, kann ich andere belasten. Ehrlicherweise kann ich nicht
einmal sagen: ich habe es nicht gewollt, sonst wäre ich in dem,
was ich anderen mitteile, verantwortungslos gewesen. Ein 'ich habe es
nicht böse gemeint', reicht da nicht als Entschuldigung, Es ist
letzt endlich gewissenlos und zeugt von schlechter Gesinnung. Ach ja,
Verantwortung und Gesinnung, eine fontanisches Feld; ich denke, es
geht nicht um ein entweder oder sondern um ein sowohl als auch, um
eine Ethik der Geschwisterlichkeit, wie sie schon Max Weber
angedeutet hat.
In
guter Absicht und Meinung kann ich von keinerlei Sachkenntnis
verbogen, tuen, was meiner Gesinnung entspricht. Irgendwelche
Rücksichtnahmen auf Fakten und Erkenntnisse würden mich nur
in meiner Gesinnung verunsichern, Und da die Gesinnung aus dem
Glauben kommt, muss die Verunsicherung des Teufels sein. So
jedenfalls wurde mir das in der christlichen Jugendgruppe in meiner
Heimat beigebracht. Zweifel hatte ich schon immer daran, doch im
Studium habe ich dann gelernt, warum diese Einstellung und Haltung
unzutreffend und gefährlich ist, nicht nur für den, der sie
hat, sondern auch für den, dem sie mit missionarischem Eifer
vermittelt wird.
Es
ist erstaunlich, wie leicht sich Überzeugungen vermitteln
laasen, die auf Feindbildern und eingeredeten Gefühlen beruhen.
Wir haben doch schon immer gewußt, dass es untrüglich
Zeichen für die Nähe satanischer Mächte gibt, so wie
wir genau wissen, wo Rauch ist, da ist auch Feuer.
Dass
der so Redende selber das Feuer gelegt hat und die Flasche mit der
Schwefelsäure offen stehen ließ, dass verschweigt er als
nebensächliche Bagatelle. Wie leicht lassen wir uns einreden,
dass alle Vegetarier Wirtschaftsschädlinge sind und alle
Fleischesser verantwortungslos mit der Umwelt umgehen, usw.
Ich
spreche mich nicht davon frei, anfällig für solche und
ähnliche Verallgemeinerungen zu sein.
Immer
wieder stelle ich fest, dass ich eigentlich viel mehr wissen müßte,
um nicht in irgendwelche Fallen zu tappen. In den Augen jener anderen
bin ich ja nicht in eine Falle getappt – wer käme denn
darauf, so etwas zu bauen und dann noch aufzustellen- , nein ich bin
in ein Fettnäpfchen getreten, was mir selber peinlich sein
sollte, statt anderen die Schuld daran zu geben. Wie oft habe ich das
schon gehört, manchmal vielleicht auch zu recht: 'Weil sie keine
Kritik vertragen können, suchen sie nach einem, der an ihrem
Schlamassel schuld ist.' Manchmal, das gebe ich zu, habe ich dann
nach dem Motto gehandelt: was du kannst, das kann ich schon lange.
Dabei zog ich so gut wie immer den kürzeren, weil der andere die
Spielregeln viel besser beherrschte als ich. So bin ich oft zum
Halma-Spielen eingeladen worden und habe viel zu spät gemerkt,
dass in Wirklichkeit um Haus und Hof gepokert wurde, wovon ich keine
Ahnung hatte.
Ahnungslos
wie ein neugeborenes Kalb, aber ohne jede Instinktsteuerung, so
stellen sich manche Zeitgenossen das glückliche Leben auf der
Insel der Seligen vor. Auf eine dieser Insel möchte ich für
Geld und gute Worte nicht, nicht einmal um der Liebe willen. Ja, ist
es die Liebe denn nicht wert, dass ich auf alles andere verzichte,
was mir vorher wert und wichtig schien? Manche sagen spontan und ohne
mit der Wimper zu zucken: ja, natürlich ist die Liebe wertvoller
als alles andere.
Ich
bin mir da nicht sicher, warum soll das, was mir wichtig ist, was ich
an Fähigkeiten und Begabungen habe, auf einmal unwichtig sein.
Kann es nicht sein, dass ich gerade diese Fähigkeiten usw. habe,
weil der andere sie gerade von mir braucht, weil es zu einem Geben
und Empfangen kommen soll, gerade weil die Liebe das so will. Also
nicht aufgeben, sondern zur Entfaltung bringen. Um der Liebe willen
auf etwas verzichten? Muss das denn dann sein? Ja, Verzicht ist dann
notwendig, wenn anderenfalls die Liebe unglaubwürdig oder
gefährdet würde. Alles, was ihr tut, tut um der Liebe
willen. In diesem Sinne ist des Wort von Augustin zu verstehen: Amo
et fac quod vis.- Liebe und tue, was du willst. - .